Sozialität und Emotion – Gedanken zu Feedback von Mensch und Maschine

Von am 07.12.23

Bezugspunkt für Feedback ist immer ein menschliches Werk, in unserem Falle ein Text. Das Zustandekommen eines solchen Textes verlangt Schreibenden vielfältige Entscheidungen ab, etwa, wie sie ihren Text strukturieren, welche Argumente sie entfalten möchten, wo sie sich auf andere beziehen oder auch, wie sie ihren Text formulieren möchten. Texte sind also Ergebnisse komplexer kognitiver Prozesse. Wenn wir uns Feedback einholen, stellen wir sie damit zur Disposition: Texte sind nicht entkoppelt von uns als Autor*innen, sie haben mit uns zu tun – wir laden also zu einer Rückmeldung auf etwas Persönliches ein, auf ein Zeugnis unserer Denk- und Kommunikationsfähigkeit und damit zu einem Produkt unserer Identität und Persönlichkeit. Indem wir einen Ausdruck unserer Denkfähigkeit zur Disposition stellen, riskieren wir Kränkung und Scham, hoffen aber auf Anerkennung. Bewertungsfreies Feedback halte ich vor diesem Hintergrund für einen Mythos: Selbst, wenn lediglich Eindrücke beschrieben werden, die ein Text bei der Lektüre ausgelöst hat, basiert das auf impliziten Bewertungen, die ich auch versuchen werde herauszuhören oder zu -lesen. Feedback soll mir zwar gerade die Eindrücke eines*r Lesenden zur Verfügung stellen, damit ich meinen Text verbessern kann, wünschen dürften sich die meisten Schreibenden jedoch, dass das Gegenüber begeistert ist, gerade keinen Überarbeitungsbedarf sieht, im besten Falle dem Niederschlag meiner Denk- und Kommunikationsfähigkeit Anerkennung zollt.

Obwohl dieser Aspekt der persönlichkeitsgefährdenden Dimension von Feedback kaum diskutiert wird, zielen eigentlich alle Prinzipien für gutes Feedback (seien sie evidenzbasiert wie etwa „begründe stets präzise“ oder didaktisch unsinnig wie etwa das Sandwich-Modell) darauf, diese emotionale Dimension klug zu wenden: etwa durch den Fokus auf sachliche kriteriale Aspekte oder den Versuch, Wertung zu reduzieren. Auch die Erkenntnis, dass Feedback besonders wirksam ist, wenn es im Schreibprozess erfolgt („formatives Assessment“), reduziert das Problem: Wenn ich lediglich ein Zwischenprodukt zur Verfügung stelle, steht nicht meine Bestleistung zur Disposition; das erleichtert es, jede Form von Feedback anzunehmen.

Mit diesen Überlegungen zur emotional bedrohlichen Dimension von Feedback möchte ich die Bedeutung von Feedback keinesfalls schmälern: Wir Menschen sind soziale Wesen, wir sind für viele Formen des Lernens auf die Rückmeldungen anderer angewiesen, Feedback ist grundlegend für unsere persönliche Weiterentwicklung. Insbesondere bei Texten ist Feedback bedeutsam, wenn sie als Form der Kommunikation an konkrete oder abstrakte Lesende gerichtet sind. Feedback leistet dann genau das: Es spiegelt mir, wie ein*e konkrete*r Lesende*r ggf. als Repräsentant*in einer Adressatengruppe einen Text wahrnimmt. Damit kann es nicht nur zu besseren Texten führen, sondern auch die Entwicklung von Schreibkompetenz ganz wesentlich fördern.

Das Urteil einer Maschine hat kaum Kränkungspotenzial

Ich sehe also genau darin eine große Stärke KI-generierten Feedbacks: Das Urteil einer Maschine hat kaum Kränkungspotenzial, weil der Mensch-Maschine-Interaktion keine soziale Beziehung zugrunde liegt, auch wenn sie sich sporadisch so anfühlen kann. Und dem KI-Feedback liegt eine neutrale, sachliche Perspektive zugrunde (auch wenn eine KI nicht im engeren Sinne analytisches Feedback gibt). Scham, Angst vor Bloßstellung, Unsicherheit – all das bleibt gegenüber der KI bedeutungslos. KI-gestütztes Feedback findet also in einem von sozialen Aspekten befreiten und damit auch sozial-angstfreiem Raum statt. Das kann auch die Auseinandersetzung mit Feedback erleichtern, das Experimentieren mit Textversionen, kleine Wagnisse ermöglichen, was wiederum die Entwicklung von Schreibkompetenz stark befördert.

Der zweite, sehr augenfällige Vorteil KI-gestützten Feedbacks liegt in seiner stetigen Verfügbarkeit. Gerade weil jeder Text eines Schülers ein Werk darstellt, in das seine Gedanken, sein Wissen und seine Zeit geflossen sind, verdient jeder einzelne Text, wertgeschätzt, überarbeitet und weiterentwickelt zu werden. Jeder Text hat das Potenzial, durch soziale Interaktion und Feedback zu wachsen. Im bestehenden Schulalltag schreiben Schüler*innen aber Hunderte von Texten, die nicht gelesen, nicht gefeedbackt und nicht überarbeitet werden, schlicht weil die Zeit und die menschliche Kapazität dafür fehlt. Leserorientierte Texte zu schreiben, die nicht gelesen werden, faktisch ohne Resonanz bleiben, hat jedoch weitreichende negative Konsequenzen auf die Motivation der Schüler*innen zum Schreiben, was sich oft noch Jahre nach der Schulzeit bemerkbar macht.

Insbesondere die Kombination von KI-generiertem und menschlichen Feedback scheint vor diesem Hintergrund geboten. KI-generiertes Feedback kann das menschliche nämlich nicht ersetzen, weil Feedback besonders dann eine Schlüsselrolle spielt, wenn wir unser Gegenüber schätzen und an seiner Meinung interessiert sind. Die Lehr-Lern-Beziehung, die Interaktion zwischen Lernenden und Lehrenden, hat sich in der Lehr-Lern-Forschung als entscheidend für erfolgreiches Lernen erwiesen. Die Entlastung vor Scham und Gefühlen des Scheiterns, die KI-gestütztes Feedback bewirken kann, ist also nicht nur positiv. Emotionen – insbesondere in Feldern positiver Valenz, wenn also Lernen leistbar scheint – begünstigen das Lernen, weil sie starke neuronale Verknüpfungen schaffen. Im geschützten Rahmen der Mensch-Maschine-Interaktionen an Texten feilen zu können, kann insofern eine hilfreiche Vorbereitung für menschliches Feedback darstellen.

Hier besteht also ein Dilemma: Einerseits betone ich die Notwendigkeit, dass KI-generiertem Feedback immer menschliches Feedback folgen (oder auch vorausgehen) sollte, um die Vorzüge beider Ansätze zu vereinen. Andererseits liegt ein Teilwert KI-generierten Feedbacks gerade darin, es einzusetzen, wo Menschen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen und nicht jedem Einzelnen das fundierte, differenzierte Feedback bieten können, das für erfolgreiches Lernen erforderlich ist. Um das Prinzip zu sichern, dass jeder Text Gegenstans von Interaktion wird, möchte ich daher abschließend drei Empfehlungen formulieren, wie die Menge der Schüler*innen-Texten deutlich reduziert werden kann, damit ein Feedback auch im Klassenraum erfolgen kann und alle Schüler*innen davon profitieren:

  • Schüler*innen markieren ihren Text in Einzelarbeit nach einem Ampelsystem: Grün kennzeichnen sie Passagen, die sie als gelungen empfinden, orange Passagen, bei denen sie unsicher sind und rot könnten Passagen markiert werden, mit denen sie unzufrieden sind. In Tandem- oder Kleingruppenarbeit können die Passagen verglichen und diskutiert, ggf. auch noch einmal reduziert werden, bevor sie dann von den Schüler*innen im Plenum vorgestellt und zum Gegenstand des Feedbacks der Lehrperson werden.
  • In einem komplexeren Lehr-Lern-Setting könnte der farbigen Markierung eine Hausaufgabe mit KI-Feedback folgen, bei der die Schüler*innen möglichst viele Passagen so überarbeiten, dass sie orange oder grün würden. Die Fähigkeit zur wiederholten Überarbeitung und Verbesserung eines Textes ist ein entscheidender Faktor für die Schreibentwicklung. Ein solches umfassenderes Schreibarrangement unterstützt Schreibenden dabei. Im Plenum könnten dann die Schwierigkeiten und Unsicherheiten bei der Überarbeitung anhand konkreter Textpassagen sowie die besten vorher-nachher-Passagen betrachtet werden.
  • Schüler*innen wählen in 3er-Gruppen eine vorgegebene Anzahl an Passagen aus ihren Texten aus, die sie besonders gelungen oder problematisch finden. Diese gemeinsame Auswahl könnte entweder mithilfe einer Bepunktung als Mehrheitsentscheid oder durch eine Diskussion im Konsens getroffen werden (letzteres dauert länger, ist aber selbst wieder lehrreich). Anschließend können zwei 3-er-Gruppen ihre Auswahl vergleichen, diskutieren und auf jeweils eine Passage reduzieren, die dann im Plenum besprochen wird.

Bei einem solchen Vorgehen wird die Fähigkeit zur Beurteilung eigener Texte systematisch zur Vorbereitung von Feedback im Plenum genutzt (Metakognition), was wiederum ein entscheidender Faktor für die Entwicklung von Schreibkompetenz darstellt. Und auch die Interaktion zu jedem Text ist sichergestellt, die ebenfalls bedeutsam für den Lernerfolg ist.

Anika Limburg, ist promovierte Germanistin und Expertin für deutsche Sprache und Literatur. Sie leitet das LehrLernZentrum an der Hochschule RheinMain und ist Mitbegründerin des virtuellen Kompetenzzentrums: Künstliche Intelligenz und wissenschaftliches Arbeiten, kurz VK:KIWA.